Im August begab ich mich mit einer 17köpfigen Gruppe auf eine sechstägige Studienreise auf die Färöer, eine aus achtzehn Eilanden bestehende Inselgruppe im Nordatlantik. Warum?, werde ich meist als erstes gefragt. Also, das kam so …
Im Frühjahr 2012 wurde ich in der dänischen Wochenzeitung Weekendavisen auf eine Rezension zu dem Jugendbuch Hullet von Anders Johansen aufmerksam. Protagonist des Romans ist der etwa 14jährige Autist David, der mit seiner Familie in einem äußerst abgeschiedenen Weiler namens Fjeldvig auf einer nicht minder abgeschiedenen Insel im Nordatlantik (möglicherweise, aber nicht ausdrücklich, auf einer der Färöer-Inseln) lebt. Fjeldvig ist so abgeschieden, dass es bis zum Anfang des Buches nicht mit dem Auto erreichbar ist. Davids Vater geht drei Mal pro Woche zu Fuß über das Fjäll (den Berg), um die Post für die Bewohner Fjeldvigs zu holen. Der Roman setzt da ein, wo die letzten Meter Fels gesprengt werden und Fjeldvig durch einen Tunnel an die Außenwelt angeschlossen wird, und beschreibt sehr eindrücklich, was diese Veränderung mit David, mit seiner Familie, mit dem Dorf macht.
Ich war begeistert! Ich beantragte finanzielle Unterstützung bei der dänischen Kulturbehörde, fertigte mit dieser Hilfe ein Gutachten und eine deutsche Leseprobe an und machte zig deutsche Jugendbuchverlage auf dieses tolle Buch aufmerksam. — Ein Verlag nach dem anderen lehnte dankend ab.
Im November 2012 reiste ich nach Kopenhagen zur Buchmesse. Ich reiste einen Tag früher an, da ich mir eine Macbeth-Inszenierung im Königlichen Schauspielhaus ansehen wollte. Einen Routenplaner-Ausdruck in der Tasche, marschierte ich vom Hotel am Rathausplatz los und stand dann etwas verloren am Kongens Nytorv vor dem Theater herum. Zu. Nix los. Außer mir zwei weitere leicht verwirrte Frauen. Gemeinsam kamen wir zu dem Schluss, dass es sich bei diesem Theater um Das Königliche Theater handelte, nicht um das Königliche Schauspielhaus. Oh, well … kleiner, aber feiner Unterschied … Beziehungsweise, um es ganz genau zu klären: Das Schauspielhaus ist (wie auch die Oper) ein Teil dessen, das sich Das Königliche Theater nennt. Dessen so genannte Alte Bühne befindet sich am Kongens Nytorv (wo wir standen), das Schauspielhaus dagegen liegt am Sankt Annæ Plads direkt am Wasser, glücklicherweise nur 700 m vom Kongens Nytorv entfernt.
Die eine andere Dame verschwand, die zweite andere und ich sahen uns an, und da ich zumindest einen Kartenausdruck dabei hatte und dadurch in ihren Augen wenigstens marginal organisierter wirkte als sie, vertraute sie sich mir ganz an, und wir beschlossen, gemeinsam zu Fuß zum richtigen Theater zu gehen.
Wir stellten einander vor, und Lisbeth erzählte mir, sie sei Journalistin und an diesem Abend etwas durch den Wind, weil sie einen Abgabetermin gehabt habe – für die Überarbeitung ihres Reiseführers Turen går til Færøerne (dt. Die Reise geht zu den Färöern). Huch! Das waren ja gleich mehrere Treffer auf einmal! Eine a) theaterinteressierte b) „Bücherfrau“ mit c) Spezialwissen zu den Färöern! Sogleich erzählte ich ihr, dass ich Literaturübersetzerin sei und gerade Feuer und Flamme für Anders Johansens Buch Hullet – von dem hatte sie bis dahin noch nichts gehört, aber sie notierte sich Titel und Autor (und fügte beides noch der überarbeiteten Literaturliste in ihrem Reiseführer zu).
700 m später bedauerten wir sehr, nicht die gleiche Vorstellung zu besuchen, tauschten aber Visitenkarten aus und freundeten uns schon bald auf Facebook an. Und als ich eineinhalb Jahre später wieder mal in Kopenhagen ins Theater gehen wollte (Woyzeck. Auf Dänisch. Über den Rest breite ich den Mantel des Schweigens.), lag nichts näher, als Lisbeth zu fragen, ob sie Lust hätte, mich zu begleiten. Sie hatte. Und an diesem Abend erzählte sie mir, sie würde 2015 wahrscheinlich für eine private Gruppe eine Reise zu den Färöern organisieren – und fragte, ob ich Interesse hätte, mitzukommen? Ich war im Jahr davor mit Studiosus auf Island gewesen und hatte auch schon mit den Färöern geliebäugelt, aber kein passendes Angebot gefunden. Jetzt wurde mir eins auf dem Silbertablett serviert, da sagte ich natürlich sofort JA!
Und so blieben Lisbeth Nebelong und ich auch weiter in Kontakt (nicht zuletzt übrigens auch, weil Lisbeth selbst eine wunderbare Romantrilogie rund um die Färöer geschrieben hat und ich für ihren Verlag Hovedland eine Leseprobe übersetzte).
Im Frühjahr 2015 wurde Hullet dann doch noch von einem deutschen Jugendbuchverlag gekauft – von Beltz. Und das, obwohl auch Beltz den Titel zwei Jahre zuvor, als ich ihn „anbot“, abgelehnt hatte. Ich hoffte sehr, für dieses absolute Wunschprojekt angefragt zu werden, zumal ich ja nun den Schauplatz des Romans erkunden würde … musste aber erfahren, dass noch zwei weitere Übersetzerinnen sich für das Projekt interessierten. Da hieß es „abwarten und Tee trinken“ … und an den Reiseplänen festhalten. Ich kann schließlich nicht immer warten, bis ich sieben in derselben Gegend spielende Romane übersetzt habe, bis ich endlich eine Recherchereise dorthin unternehme! (Ich spiele an auf sieben von mir zwischen 2010 und 2014 übersetzte Titel von Sarah Harvey, die alle in Cornwall spielen und im September 2014 endlich zu einer Reise nach Cornwall führten.)
Im August 2015 ging es dann los: Zusammen mit Lisbeth und einer Gruppe, die sich „Friends of Europe“ nennt, und die 2015 im 32. Jahr miteinander verreiste, gen Norden, zu den von den LeserInnen des National Geographic 2015 zur TOP TRAVEL DESTINATION gekürten, auf halber Strecke zwischen den Shetlandinseln und Island den Unbilden des Nordatlantiks trotzenden „Schafsinseln“ …