14.08.2015: Am zweiten Reisetag, aber dem ersten ganzen Tag auf den Färöern, verbrachten wir viel Zeit im Bus. Zwischendurch kamen wir uns vor wie das Klischee einer japanischen Reisegruppe „Europa in vier Tagen“: Aussteigen, Fotos machen, in 15 Minuten weiterfahren! Aber so sahen wir wirklich viel von den Inseln Streymoy, Esturoy, Borðoy und Viðoy – und Lisbeth Nebelong nutzte die Fahrzeiten im Bus, um uns viel Wissenswertes über die Färöer, die Menschen, ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Natur usw. zu erzählen – und sogar ein färöisches Lied mit uns anzustimmen. Ein prall gefüllter Tag, der kaum angemessen zusammenzufassen ist!
Gute Ausblicke bot der eigentlich der Reiseführerin vorbehaltene Sitz ganz vorne neben dem Fahrer. Lisbeth wollte aber lieber in zweiter Reihe neben ihrem Sohn sitzen, so kam ich in den Genuss …
Zuerst mal die Route: Von Tórshavn ging es an der Ostküste Streymoys bis zur nördlichsten Siedlung der Hauptinsel, Tjørnuvik (ca. 53 km). Von dort wieder ein Stück zurück und über „die Brücke über den Atlantik“ hinüber nach Eysturoy. Dort zunächst an der Westküste entlang nach Norden, bis nach Eiði (ca. 27 km), von dort über den Bergrücken in die nordöstlichste Ecke der Insel nach Gjógv (ca. 14 km). Dann einmal fast der ganzen Länge der Insel nach zur südlichen Spitze, wo wir in Søldarfjørður köstlich bewirtet wurden (ca. 28 km).
Über Gøtugjógv und Leirvík und durch einen ziemlich langen Unterwassertunnel gelangten wir auf die nächste Insel, Borðoy. Borðoy ist die größte der färöischen Nordinseln, auf der auch die zweitgrößte Stadt der Färöer liegt: Klaksvik (ca. 19 km). Hier mussten wir in einen kleineren Bus umsteigen, da die ersten Tunnels Richtung Norden noch deutlich kleiner gebaut wurden als die späteren Richtung Südwesten. Durch Bergtunnel und über eine weitere Brücke gelangten wir zur nordöstlichsten Station unserer Reise: nach Viðareiði (ca. 19 km) auf Viðoy. Und nach einem landestypischen Abendessen juckelten wir die 95 km zurück nach Tórshavn.
Die Höhepunkte des Tages: Landschaft, Kunst & Kultur, Essen. Und natürlich das herrliche Wetter!
Landschaft: Was soll ich groß erzählen und schwärmen? Hier müssen Bilder für sich sprechen:
Kunst & Kultur: Die färöische Gesellschaft ist stark evangelisch-lutherisch geprägt. Die Religion spielt eine wichtige, selbstverständliche Rolle. Es gibt ca. 70 Kirchen auf den 18 Inseln, also ca. pro 700 Einwohner eine Kirche. Viele sind extrem idyllisch gelegen und geben ganz wunderbare Fotomotive ab.
Zu jeder Kirche gehört ein Kirchhof, ein Friedhof, und Friedhöfe üben eine besondere Faszination auf mich aus. Wo immer ich unterwegs bin und es sich anbietet, sehe ich mir den örtlichen Friedhof an. Mein spezielles Interesse dort gilt dann wiederum – das liegt in meiner Biografie begründet – Kindergräbern.
Auf alten Friedhöfen ist gut zu beobachten, dass die Kindersterblichkeit früher deutlich höher war als heute. Und auf den Färöern stieß ich auf eine weitere Besonderheit, die mir so noch nie begegnet war: Gedenktafeln mit schier endlosen Auflistungen verstorbener Männer, mit Altersangabe. In Klaksvik sprach ich auf Dänisch einen etwa 13jährigen Jungen darauf an, der mir erklärte, es handele sich dabei um auf See ums Leben gekommene Fischer. Schluck.
In der Christianskirche in Klaksvik trafen wir den färöischen Künstler Edward Fuglø, der uns den Entstehungsprozess seines Werkes „Jesus von Nazareth“ von 2013 erläuterte. Edward hatte sich bis dahin eigentlich nicht mit religiöser Kunst einen Namen gemacht, sondern eher mit farbstarken, färöische Elemente aufgreifenden und diese neu arrangierenden Gemälden (hier ein paar Beispiele aus dem Jahr 2012). Von dieser Darstellung des Lebens Jesu auf zehn großen, runden Holztafeln war ich sowohl künstlerisch als auch handwerklich enorm beeindruckt. Die verwendeten Materialien sind alle „gebraucht“: Holz aus der alten, inzwischen ersetzten Kircheneinrichtung, Kleinteile wie Lichtschalter, Nägel und Türangeln aus der alltäglichen Umgebung u. a.. Wozu? Um Kunst, Religion, Geschichte, Einzelschicksale und Alltag miteinander zu verschmelzen und der „ganz normalen“ Bevölkerung in der Kunst einen Platz zu geben, auf dass sie sich mit ihr identifizieren können möge.
Beispiel: Ein dicker, fetter, rostiger Nagel. Passenderweise natürlich auf der Holztafel mit Jesu Kreuzigung zu finden. Der Nagel stammt aus einem Weiler, dessen männliche Bevölkerung fast vollständig bei einem Sturm auf See ums Leben kam. Und zwar 1913. Das Werk sollte 2013, zum 50jährigen Jubiläum der Christianskirkjan angefertigt werden, und so nutzte Edward das Kunstwerk auch dazu, den 100. Jahrestag der Katastrophe für diesen färöischen Weiler zu markieren und so die Erinnerung an die Toten und ihre Hinterbliebenen wachzuhalten. Ein barsches Stück färöische Geschichte, verwoben mit dem barschen weltlichen Ende Jesu. Wow.
Nach diesem geistigen, künstlerischen und für mich auch emotionalen Höhenflug nun noch ganz profan das letzte Thema des Tages:
Essen.
Das Mittagessen im Garðahúsið (einem ganz normalen Wohnhaus mit einem erstaunlichen Garten) war mir nicht sonderlich fremd, da es doch sehr an dänisches „frokost“ mit Broten erinnerte. Vorneweg gab es allerdings eine absolut hammerköstliche Fischsuppe, und auch der zu den Broten gereichte Fisch – quasi direkt aus dem Meer auf den Tisch – war himmlisch!
Die großen runden Kekse gibt es genau so übrigens auch im südlichen Jütland, da heißen sie (Dialekt) „go’e raj“, und es gibt Waffeleisen mit verschiedenen Mustern.
Etwas weniger vertraut ging es beim Abendessen in Elisabeths Matstovan in Viðareiði zu … Es sollte „Seevogel“ geben. Soviel wussten wir. Irgendwann wurde auch der dänische Name, „lomvig“, verkündet. Darunter konnte sich ja nun praktisch niemand was vorstellen. Mit Englisch konnte man auch noch dienen: guillemot. Hallo? Keine Ahnung, was das sein soll. Irgendein Witzbold meinte dann, ich müsste das doch wissen, schließlich sei ich Übersetzerin … Haha. Und doch: Aus den unergründlichen Tiefen meines sich mit einem auf den Färöern spielenden Text beschäftigt habenden Gehirns (schöne Konstruktion, oder? was die deutsche Sprache so alles kann!) tauchte einfach so ein Wort auf: Trottellumme. Ich also: „Trottellumme.“ Ein großes Ah und Oh und „Trottel-was?“ und „Du willst uns wohl veräppeln“. Ich hätte nicht meine Hand dafür ins Feuer gelegt, da in Anders Johansens Buch auch andere Vogelarten vorkamen, aber irgendwie … war das „my best bet“. Und als dann irgendjemandes Handy im Laufe des Abends doch noch einen Zugang zum Internet fand, konnte ich echt stolz sein auf die Tiefen meines Gedächtnisses: Auf unseren Tellern lagen in der Tat Trottellummen. Mini-Pinguine, sozusagen. Die auf ihrem Zug übrigens auch auf Helgoland Station machen.
Ganz entzückende Tiere also, die sich meiner bescheidenen Meinung nach lebend auf dem Felsen viel besser machen als tot auf dem Teller. Aber mit reichlich Soße ging’s. 🙂