Er sollte so groß gefeiert werden, der 100. Geburtstag der Grenzziehung. Die einen wollten die „Wiedervereinigung“ bejubeln, die anderen die „Abtretung“ bedauern, aber sehr viele wollten auch ein Zeichen setzen für die heute zumindest im Grenzgebiet äußerst lebendige deutsch-dänische Freundschaft. Und dann das: ein Virus macht all dem einen dicken, fetten Strich durch die Rechnung, und auf einmal müssen sich die Menschen in Tønder und Niebüll, in Aabenraa und Flensburg wieder fragen, auf welcher Seite sie stehen. Plötzlich müssen erwachsene Kinder ihre betagten Eltern in puncto Alltagshilfe im Stich lassen, müssen Mütter sich entscheiden zwischen ihren Kindern und ihrem neuen Partner. Von einem Tag auf den anderen. Ohne Ausnahmeregelung, ohne Pardon.
Seit dem 13. März war die Ansage von dänischer Seite sehr klar: Ab dem 14. März dürfen keine Ausländer mehr nach Dänemark einreisen, es sei denn, ihre Berufstätigkeit erfordert es oder es gibt einen anderen triftigen Grund. Seit dem 16. März galt dieselbe Ansage für die Einreise nach Deutschland.
Wie damit umgehen, wenn das eigene Leben völlig natürlich in einem Radius von 50 km stattfindet, dieser Radius aber durch die Grenzschließung halbiert wird?
Die Konstellation: Deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Nordfriesland und Berufstätigkeit in Deutschland, seit mehreren Jahren in einer festen Beziehung mit einer Doppelstaatlerin (deutsch/dänisch) mit Wohnsitz in Tønder und freiberuflicher Tätigkeit in Deutschland und Dänemark.
Damit war eins schon mal klar: Der Nordfriese wird vorläufig nicht ins Königreich hineingelassen. Und was ist mit der Doppelstaatlerin?„Staatsbürger dürfen immer in ihr Land einreisen“, heißt es von einigen Seiten. Bingo! Freie Fahrt in beide Richtungen! Denkste. Die Regeln ändern sich seit Mitte März mindestens wöchentlich … Der Wunsch, den Liebsten in Nordfriesland weiter zu sehen – nicht täglich, aber doch zumindest am Wochenende – gerät zum Spießrutenlauf. Bei jeder Einreise nach Deutschland gelten neue Regeln, mal ist sie durch jede berufliche Tätigkeit legitimiert, dann werden nur noch systemrelevante Berufstätigkeiten akzeptiert; mal reicht die deutsche Staatsbürgerschaft aus, dann wieder ist fester Wohnsitz im Bundesgebiet gefragt; mal gilt der Besuch des Lebensgefährten als triftiger Grund, dann wieder gilt das eben nicht; das Land Schleswig-Holstein gestattet Ausnahmen für den Besuch des nicht unter demselben Dach wohnenden Lebensgefährten, der Kreis Nordfriesland stellt eine Sondergenehmigung aus – aber die Bundesbeamten an der Grenze sagen wieder etwas anderes … Bei jeder Einreise nach Deutschland banges Zittern, ob es klappt, bei jedem Abschied vom Liebsten Ungewissheit, wann es ein Wiedersehen geben wird …
Die Wieder-Einreisen nach Dänemark waren jedes Mal vollkommen unproblematisch. Dänisches Kennzeichen, dänischer Pass – keine weiteren Fragen.
Endlich, nach über fünf Wochen, melden sich dann mal die Minderheitenvertreter beiderseits der Grenze zu Wort (wäre das nicht ihre primäre Aufgabe von Anfang an gewesen?), appellieren an Christiansborg und Kiel/Berlin, die Grenzschließung zu lockern, wenigstens für in der Region Ansässige mit engen (quasi-)familiären Verbindungen auf der jeweils anderen Seite der Grenze. Ein Hin und Her, ein Ja und Nein, und am Ende dann doch endlich ein Ja.
Und so folgte Dänemark letzte Woche dem Beispiel Schleswig-Holsteins und erklärte nach fast sechs Wochen den Besuch des Lebenspartners zu einem von mehreren privaten Anliegen, die nun als „triftige Gründe“ betrachtet werden. Hurra! Große Frage: Wie soll das kontrolliert bzw. belegt werden?
Versuch macht klug: Der Nordfriese näherte sich am Freitagnachmittag gut gerüstet dem Grenzübergang zwischen Süderlügum und Tønder. In Reichweite auf dem Beifahrersitz: a) sein Pass, b) ein Schreiben vom Kreis Nordfriesland (die Sondergenehmigung, seine nicht unter demselben Dach lebende Partnerin zu besuchen und damit Befreiung von der Quarantänepflicht), c) das Handy mit einem Foto vom „sygesikringsbevis“ der Doppelstaatlerin sowie d) einem Foto von deren Visitenkarte inkl. Telefonnummer (es hieß, die Grenzbeamten würden vielleicht Kontrollanrufe vornehmen), e) Fotoalben mit Glücksfotos, die die Liebste dem Nordfriesen zu den letzten Jahrestagen geschenkt hat (falls es weiterer Dokumentation bedurfte). In Tønder wurde darauf geachtet, dass das Handy Strom hatte und auf Empfang war.
Was dann passierte, war reichlich unspektakulär.
Der Nordfriese ließ bei der Einreise nach Dänemark die Scheibe herunter und zeigte seinen Pass. Der wurde sofort vom Grenzbeamten fotografiert. Auf die Frage nach dem Grund seiner Einreise sagte der Nordfriese, er wolle seine Partnerin besuchen: „Jetzt, wo das endlich wieder möglich ist.“ Darauf die Frage nach dem Namen der Partnerin und ihrem Wohnort. Und dann: „Gute Fahrt!“ Das war’s.
Die Rück-Einreise nach Deutschland am Sonntag war ähnlich unspektakulär. Deutsches Kennzeichen, deutscher Pass, das ist ja schon mehr als die halbe Miete. Kurze Frage, wie lange der Aufenthalt in Dänemark war, und da die Antwort „weniger als 48 Stunden“ bedeutete, freie Weiterfahrt. Bei mehr als 48 Stunden hätte wohl die Sondergenehmigung vom Kreis vorgelegt werden müssen. Aber das ist Spekulation.